Finnland – Im Gespräch mit Pekka Hiltunen

Nachdem ich am Freitag bereits über das Debüt von Pekka Hiltunen geschrieben habe, folgt hier nun das Interview mit ihm. Pekka Hiltunen, Jahrgang 1966, ist Autor und Journalist. Er schreibt für das Mondo Magazin. „Die Frau ohne Gesicht“ ist der Auftakt der Thriller-Reihe um das Studio, einer Gruppe von engagierten Leuten verschiedener Nationalitäten, die die Welt zu einem besseren Ort machen will.

Pekka Hiltunen (c) Pertti Nisonen

Pekka Hiltunen (c) Pertti Nisonen

Was ist typisch für finnische Kriminalliteratur?
Es geschehen interessante Dinge: wir bekommen historische Kriminalromane, Finanz-Thriller, ‘cozy crimes’ und Kriminalroman-Parodien. Das ganze Genre wird nun abwechslungsreicher. Üblicherweise waren es geradlinige Geschichten, die durch unsere dunklen Winter, Kleinstadtkriminelle und Opfer sowie Stereotypen wie depressive Alkoholiker und russische Mafia-Rüpel beherrscht waren. Heute können Kriminalromane nahezu alles sein.

Und wo liegen die spezifischen Unterschiede zwischen finnischer und sonstiger skandinavischer Kriminalliteratur?
Die Kriminalliteratur in anderen skandinavischen Ländern geht bewusster auf soziale und politische Themen ein. Dort wird oft recht starke Kritik an der Gesellschaft geübt, während sich Geschichten in Finnland eher auf Individuen konzentrieren. Zum Beispiel war der populärste Autor des Genres, Stieg Larsson, als Journalist politisch und auch in gewissem Ausmaß auch in seinen Thrillern; in Finnland ist das recht selten.

Weshalb ist finnische Kriminalliteratur nicht so erfolgreich wie schwedische?
Das ist durch die Geschichte geprägt. Schweden ist ein größeres Land mit einem größeren Literaturheimatmarkt und einer langen Tradition beim Schaffen internationaler Erfolgsgeschichten in vielen Beziehungen: Musik, Mode, Sport, Filme und so weiter. Sie sind es gewohnt, größer zu denken und an höheres Ziel anzustreben.
Seit Jahrzehnten haben sie mehr Krimiautoren als Finnland, und deren Bestseller-Autoren können ihre Zeit voll dem Schreiben widmen, denn sie verkaufen sich schon in Schweden gut. In Finnland können nur wenige Autoren von ihren Büchern leben. Vielleicht nur fünf bis zehn Krimiautoren genießen diesen Luxus, andere müssen sich mit einem Alltagsjob über Wasser halten.

(c) Berlinverlag

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Weshalb haben Sie zwei Protagonistinnen in Ihren Thrillern? (Was mir sehr gefällt)
Weil ich die Stärke finnischer Frauen liebe. Für mich war von Anfang an klar, dass es in dieser Serie besonders um die Freundschaft zwischen diesen beiden Frau geht, und die Verbrechen, in die sie verwickelt werden.

Warum haben Sie sich für London als Ort der Handlung entschieden?
Das ware eine andere instinktive Entscheidung: Es musste London sein, meine Lieblingsstadt außerhalb Finnlands. London ist groß genug, dass dort ernsthafte Verbrechen und geheime Operationen stattfinden können, über die ich schreibe. Und ich wollte über Leute schreiben, die ihre Wurzeln in einer anderen originalen Kultur wie Finnland haben, aber ein globales Leben führen. So ist mein Leben. Ich denke, viele von uns fühlen genau so: Wir sind zwar Bürger eines bestimmten Landes, aber doch Geschöpfe mit globalem Lebensstil.

Im ersten Teil unterhalten sich Lia und Mari über finnische Frauen. Was ist an ihnen so besonders?
Finnische Frauen sind sehr unabhängig, aber nicht in einer lauten oder oberflächlich-glamourösen Weise. Sie sind tüchtig. Sie sind klug und gebildet, und sie mögen es, mit ihren Fähigkeiten anderen zu helfen und nicht nur an ihre eigene Karriere zu denken. Und sie verstehen es, zu trinken und Spaß zu haben. Kein Wunder, dass Finnland, eigentlich ein sehr männerorientiertes Land, zunehmend von Frauen geführt wird.

Ich habe jüngst eine Menge finnischer Kriminalliteratur gelesen, und eine Sache, die mir auffiel, ist, dass die Figuren in vielen Romanen großes Vertrauen in die Polizei haben. Aber in ihren Büchern sorgt ein “privates Unternehmen” für Gerechtigkeit. Gibt es einen generellen Meinungsumschwung bei dem Vertrauen in Polizeibehörden?
Nein, das denke ich nicht. Der Polizei wird in Finnland immer noch sehr viel Vertrauen entgegengebracht. Was sich aber definitiv wandelt sind die Erwartungen an den Wohlfahrtsstaat und die Regierung im Allgemeinen. Den Menschen wird mehr und mehr klar, dass die globale Wirtschaft sie verändert. Viele wollen dabei nicht tatenlos zu sehen, sondern etwas Gutes tun, anderen Empathie entgegenbringen, zuweilen auch grenzüberschreitend. Wir leben in einer Zeit, in der hedonistische und eigensinnige Trends gedeihen, und gleichzeitig viele Menschen nach Wegen suchen, bessere Menschen zu werden und sich für die Gemeinschaft einzusetzen. Dies kann in sozialen Netzwerken oder alltäglichen Aktivitäten geschehen, und meine Studio-Reihe greift dieses moderne, grundlegende Streben, Gutes zu tun, auf.

(c) Berlinverlag

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Woher stammt die Idee für das “Studio”?
Ich wollte über kluge Leute mit Herz, humanistischen Werten und kreativen Fähigkeiten schreiben und diese zu Helden und Heldinnen für eine Wandel machen, und nicht die Typen mit den dicksten Muskeln und Knarren. Ich mag wirklich die Vorstellung, mit dem Kopf kleine Veränderungen anzustoßen. Und offensichtlich ist das “Studio” ziemlich cool; würden Sie nicht wollen, dass diese Leute im Herzen von London mit all ihren Fähigkeiten auf Ihrer Seite stehen, oder sogar Teil von ihnen sein?

Sie behandeln in ihren Thrillern aktuelle soziale Themen wie Menschenhandel. Warum?
Ich bin ein Softie! Ich glaube daran, dass über die Probleme der Welt zu sprechen und davon zu wissen gut für einen ist. Und ich hasse Action-Thriller, bei denen man den Kopf abschalten kann. Schwierige Fragen und politische Themen, diese machen Thriller interessanter und vielschichtig.

Ihre Bücher wurden dafür gerühmt, eine neue Phase finnischer Kriminalliteratur eingeläutet zu haben. Wie sehen Sie dies?
Viele Leute sagen das, und ich denke das ist so, weil ich Teile der finnischen Mentalität mit einem globalen Handlungsrahmen und urbanem Lifestyle verbunden habe. Meine “Studio”-Thriller sind manchmal näher an internationalen Dramen- und Thriller-Fernsehserien als andere finnische Thriller. Darauf habe ich es gar nicht planvoll angelegt, es ist einfach das, was mich interessiert, und ich fühlte mich in der richtigen Stimmung für diese Art Bücher.

Wissen Sie schon, wie viele Teile die “Studio”-Reihe haben wird?
Ich habe immer gedacht, es braucht mindestens vier bis fünf Bücher, um die Geschichten mit Lia und Mari und dem “Studio” zu erzählen. Nun, da ich das dritte Buch schreibe, wird mir klar, dass ich mich nicht auf eine Anzahl festlegen kann. Die Handlung entwickelt sich weiter und wächst, während ich sie schreibe, und so sollte es auch sein. Also, ich versuche, jedenfalls vier bis fünf Bücher über das “Studio” zu schreiben, aber: Dinge geschehen! Abwarten, was passiert.

Haben Sie irgendwelche Vorbilder in der Kriminalliteratur?
Nein, nicht wirklich. Ich versuche bewusst zu vermeiden, anderen Stilen zu folgen. Ich habe überwiegend gute fiktive und nicht-fiktive Bücher gelesen, Krimis eher nicht.
Aber natürlich mag ich verschiedene Krimis. Mein Lieblings-Thriller aller Zeiten ist “Frau Smillas Gespür für Schnee” von Peter Hoeg. Es ist ein ziemlich einzigartiges Buch, und ich mag auch seine andere Bücher sehr. Die französische Autorin Fred Vargas ist auch eine meiner Favouriten in diesem Genre. Und verschiedene andere.
Der Großteil der Kriminalliteratur ist Mist, und ich habe an diesen Büchern kein Vergnügen. Ich bin mit all den großen Hit-Thriller-Büchern, -Filmen und –Fernsehserien aufgewachsen, habe gesehen, wie sie eine bestimmende Form der Unterhaltung wurden, und einige haben mich beeinflusst wie viele andere Autoren. Ich sehe mich aber nicht als einen Krimi-Autoren: Ich bin ein Autor, der unter anderem Kriminalliteratur schreibt. Ich habe auch andere Erzählungen recht erfolgreich veröffentlicht.

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2 Gedanken zu „Finnland – Im Gespräch mit Pekka Hiltunen

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